Pressebericht: Wie Dörfer wieder vitaler werden

Rezepte gegen das Dorfsterben: Initiativen aus ganz Deutschland trafen sich zu einem mehrtägigen Workshop

VON JENS-CHRISTIAN MANGELS
© Niederelbe Zeitung | Lokales | 8 | Donnerstag, 17. August 2023

Oberndorf. Wie können Dörfer auch in Zeiten des demografischen Wandels und struktureller Veränderung attraktiv und vital bleiben? Um diese Frage ging es bei einem mehrtägigen Workshop in Oberndorf, den der Verein ProvinzWerkstatt auf die Beine gestellt hat.


Gnissau ist ein Dorf im Kreis Ostholstein, hat rund 800 Einwohner und liegt rund 25 Kilometer von der Ostsee entfernt. Vor sieben Jahren machte der letzte Lebensmittelladen dicht. Auch den Bäcker und den Schlachter gibt es nicht mehr. Dort wo einst ein großer Gasthof mit Kegelbahn war, residiert jetzt ein Antiquitätengeschäft. „Es war nichts mehr da“, blickt Karina Lund auf die

Entwicklung in den vergangenen Jahren zurück. Die Architektin aus Gnissau hat hautnah miterlebt, wie sich das Dorf in den vergangenen Jahren verändert hat.


Zusammen mit Cornelia Christiansen und anderen Mitstreitern entschied sie, etwas gegen diesen Trend zu unternehmen. „Wir wollten nicht, dass Gnissau

zum Schlafdorf wird“, berichtet Cornelia Christiansen. Sie gründeten die Initiative „Dorfzentrum Gnissau„ mit dem Ziel, einen Ort der Begegnung zuschaffen - mit Einkaufsmöglichkeiten, Dienstleistungen und einem Veranstaltungsraum. Ein

Ort für die Pläne wurde schnell gefunden: Das alte Pastorat neben der Kirche soll Begegnungsstätte für die Menschen im Ort werden. Die Initiative wünscht sich außerdem den Anbau eines Saales. Doch die Umsetzung des Projekts gestaltet sich schwierig. Fördermittel fehlen und in der Prioritätenliste der Politik steht das Dorfzentrum Gnissau ziemlich weit unten. „Wir haben Schwierigkeiten, Gehör zu finden“, sagt Cornelia Christiansen.


Mit diesem Problem stehen die Gnissauer nicht allein da, wie sich beim Treffen der Dorfinitiativen in Oberndorf herausstellt. Fast jede Bewegung gerät irgend-

wann in ein schwieriges Fahrwasser. Finanzielle Hürden, mühsame politische Gremienarbeit oder Probleme bei der Antragstellung für Fördergelder sorgen häufig für Ernüchterung. 


Der Workshop des Vereins ProvinzWerkstatt in Oberndorf setzt das Buchprojekt „Alle an einen Tisch“ der Autorinnen Barbara Schubert und Antje Hubert fort. Die Kommunikations-Designerin Barbara Schubert ist seit 2010 leidenschaftliche Dorf-Aktivistin, Mitgründerin und Mitbetreiberin verschiedener Initiativen in Oberndorf. Antje Hubert ist Regisseurin und Produzentin von Dokumentarfilmen, sie lebt in Hamburg. Gemeinsam haben sie die „Provinzoffensive“, ein Projektbüro für ländliche Zusammenarbeit, gegründet und für ihr Buch genau hingeschaut, wie sich andere Dörfer und Initiativen gemeinschaftlich entwickeln. Die Autorinnen sind davon überzeugt, „dass in lokalen Dorfbewegungen großes Potenzial stecken kann für die Entwicklung einer offenen, demokratischen und am Gemeinwohl orientierten Gesellschaft.“


Mit dem Bauwagen regelmäßig auf Tour


Die Gnissauer lassen sich von den Rückschlägen jedenfalls nicht aufhalten und haben - bis zur endgültigen Realisierung des neuen Dorfzentrums - eine Zwischenlösung auf die Beine gestellt: das „rollende Dorfzentrum“. Mit diesem Bauwagen ist die Initiative regelmäßig auf Tour, lädt zu Aktivitäten, Veranstaltungen und zum Informationsaustausch ein. „Der Wagen ist ein Symbol für das noch zu errichtende Dorfzentrum, auch in Richtung Politik“, erklärt Cornelia Christiansen.


Diese und viele weitere Anregungen konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des DorfFestivals mitnehmen. „Es war eine sehr bereichernde Veranstaltung“, sagt Barabara Schubert. Am Ende des Workshops fiel die Entscheidung: „Wir wollen uns in zwei Jahren wiedersehen.“


Auch die Aktiven des Oberndorfer Dorfvereins sind mit vielen Ideen und interessanten neuen Kontakten aus der Veranstaltung gegangen. „Es hat etwas Entlastendes, zu hören, dass andere mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben“, sagt Jörn Möller. Ein Beispiel: die fehlende Unterstützung und Anerkennung der Politik. Man habe mehrere Politiker aus Oberndorf und der Region zum Workshop eingeladen, aber niemand sei gekommen, so Möller.


Aber auch konkrete Anregungen zum Nachmachen und Weiterentwickeln haben die Oberndorfer erhalten. So wurde im Dorf Schlarpe, im südlichen Niedersachsen gelegen, vor einiger Zeit ein Elektrofahrzeug angeschafft, das nun als eine Art Bürgertaxi im Einsatz ist. „So etwas könnte ich mir auch für uns vorstellen“, meint Dieter Ducksch, Vorstandsmitglied der ProvinzWerkstatt.

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