Eindrücke Freie Schule Heckenbeck

Wir waren für Euch unnterwegs in Heckenbeck

Hallo liebe Freunde Oberndorfs, liebe Schulinteressierte,

wir befinden uns just auf der Heimreise und ich nutze die Gelegenheit als Beifahrer, die gesammelten Eindrücke für euch festzuhalten.
Das Wichtigste zu erst:
Die Vorsitzende des Schulträgervereins, Susanne Kenntemich, antwortet auf die Frage, wie wichtig die freie Schule für das kleine Dorf Heckenbeck sei, dass alle anderen Dörfer in der Umgebung eher aussterben würden. Nur Heckenbecks Einwohnerzahl stiege und sei bis auf den letzten Bauplatz ausgebucht. Schulinteressierte würden daher bereits beginnen, die Nachbardörfer zu besiedeln. Sie ziehen aus dem gesamten Bundesgebiet nach Heckenbeck.

Das Lernkonzept der freien Schule Heckenbeck beginnt für die Kinder bereits im Kindergarten. Dieser befindet sich direkt neben der Schule, hat jedoch seinen eigenen Bereich, den wir uns auf Grund der kurzen Besuchsdauer von einem Schultag nicht angesehen haben. Die Schule selbst unterteilt die Schüler in die Gruppen „Primaria“, „Sekundaria“ und „Tertia“:


Die Primaria ist die Einstiegsgruppe, analog zur Grundschule. Ein Wechsel zur nächsten Gruppe ist nach 3 Jahren auf Wunsch des Kindes möglich, nach 4 Jahren erfolgt der automatische Wechsel in die Sekundaria. Heute begann für die Primaria der Schultag mit einem „Morgenkreis“. Die Gruppe trifft sich dabei, um die Abläufe des Tages zu besprechen. Eines der Kinder hat Geburtstag: Der Lernbegleiter fragt die im Kreis sitzenden Kinder nach dem Geburtsjahr. Ungefähr die Hälfte der ca. ein Duzend Kinder melden sich. Auch werden die Kinder nach dem heutigen Tag, Monat und einigen anderen Dingen gefragt. Dabei wirken die Kinder größtenteils interessiert.
Highlight des Tages ist sicher der Ausflug zu einer im Harz gelegenen Wasserquelle. Daran nehmen jedoch nicht alle Kinder Teil. Denn der Rest der Gruppe macht derweil nebenan regen Gebrauch vom „Bewegungsraum“, dem Turnzimmer. Überhaupt scheint es am Morgen in der Primaria sehr turbulent zu sein. Die Kinder, insbesondere die Jungen haben viel Energie und die will raus. Die Vorstellung, man würde diese lebhaften Kinder zwingen, still zu sitzen, erscheint mir absurd.

Zum Vergleich: Oben bei den Jugendlichen in der Sekundaria-Gruppe wird zur selben Zeit von einigen gelernt, andere sind im „Ruhe-Raum“ und wieder andere spielen eine Partie Monopoly. Jugendliche scheinen diesen enormen Bewegungsdrang aus sich selbst heraus abgelegt zu haben. Die Schule wird den verschiedenen Entwicklungs­prozessen der Kinder gerecht und zwingt sie nicht in eine „unnatürliche“ Schablone.

In der Tertia-Gruppe erlernen die Schüler gerade das Wissen aus der Biologie über Herz, Venen und Arterien. Dabei löchern die Schüler von sich aus den Lernbegleiter mit Fragen über Kapillaren, die verschiedenen Blutkreisläufe und die „Pumpleistung“ des Herzens. „7000 Liter Blut am Tag? Das sind ja 35 Badewannen voll...“ überschlägt einer der Schüler laut denkend. Eine Schülerin der Tertia wendet sich von dem Geschehen ab. Sie zieht es vor am Computer zu arbeiten. Dort zeichnet Sie auf einem Grafiktablet mit Photoshop eine wirklich beeindruckende Zeichnung einer Waldszene. Ich selbst nutze Photoshop beruflich und bin daher umso erstaunter, wie sicher die Schülerin dieses komplexe Programm bereits beherrscht.

Ich entdecke eine, ans schwarze Brett gepinnte Seite, die alle Regeln der Tertia auflistet. Es gibt Pflichten, Verbote und Freiheiten. So müssen bspw. Handys in der Schule ausgeschaltet sein oder im Flugmodus betrieben werden. Arbeitsplätze werden aufgeräumt verlassen. Die Jugendlichen dürfen sich abmelden und mindestens in Zweiergruppen spazieren gehen. Wohin, ist ihnen selbst überlassen, doch müssen sie bis 12 Uhr wieder in der Schule sein. Erstaunlich, denke ich, denn wir durften unser Schulgelände früher auf keinen Fall verlassen.

Das Vertrauen in die Schüler hier muss groß sein. Genau dieser Eindruck zum Umgang zwischen Lehrern und Schülern festigt sich während unseres gesamten Besuchs. Am deutlichsten wurde dies in der Personal-AG, was mit Abstand die beeindruckendste Situation an diesem Tag war. So durften wir der Entscheidung beiwohnen, eine neue Lehrkraft einzustellen. Dabei standen zwei Kandidaten zur Auswahl. Beide haben zuvor einige Zeit in der Schule gearbeitet, damit sich alle Beteiligten ein Bild von ihnen machen konnten. Die Schüler halten 50% der Entscheidungsbefugnis selbst in der Hand. Alle Gruppen der Schule haben insgesamt 6 Repräsentanten gewählt. Diese sprachen im Vorfeld mit ihren Mitschülern und holten sich ein Stimmungsbild ein. Dieses wurde nun, am entscheidenden Tag vorgestellt. Der anwesende Schulleiter und eine weitere Lernbegleiterin hielten sich bewusst zurück. Der Schulleiter erwähnt auf Nachfrage nur, dass sich die „Erwachsenen“ gestern auf einen Kandidaten einigen konnten. Die Erwachsenen halten ebenfalls 50% der Entscheidungsbefugnis. Verraten wurde jedoch nicht, für wen sich die Erwachsenen entschieden haben, da diese die Schüler nicht beeinflussen wollten. Beliebt waren beide Kanditaten, eine einfache Wahl schien dies nicht zu sein. Ganz im Gegenteil. Die Schüler beraten eine geschlagene Stunde über Ihre Entscheidung. Argumente werden ausgetauscht und darüber reflektiert. Alle sechs Schüler haben sich gegenseitig respektvoll zugehört und das Wort erteilt. Hin und wieder suchen Sie den Blick zu den Erwachsenen, bitten um Ratschläge. Jeder rang mit sich. Dabei wurden persönliche Vorlieben, das kurz- bis langfristige Wohl der Schule und aller Beteiligten, einschließlich der beiden Kandidaten ausführlich beleuchtet. Alle Aspekte wurden reflektiert und gewürdigt. Am Ende konnten die Schüler Einstimmigkeit erlangen. Einer der Schüler sagte, nachdem die Entscheidung gefallen ist: „Obwohl ich die Entscheidung für begründet und richtig halte, habe ich jetzt ein schlechtes Gefühl. Heißt dies, dass ich vielleicht falsch entschieden habe?“. Der Schulleiter beruhigt ihn und sagt, dass dies nach schweren und solch knappen und wichtigen Entscheidungen normal sei und oft vorkommt. Mich beeindruckt diese Stunde sehr. Die Schüler haben eindrucksvoll demonstriert, dass das Vertrauen in sie absolut gerechtfertigt ist. Sie verstehen nicht nur demokratische Prozesse und verantwortungsvolles Handeln, nein, sie leben diese direkt im Schulalltag. Personalentscheidungen - ein eigenes Berufsfeld, das viele „Softskills“ voraussetzt - werden hier von Kindern und Jugendlichen getragen. Dass sie dabei an sich selbst wachsen und für das Leben lernen, liegt auf der Hand. Ich bin mir sicher: Später denken und handeln sie ebenso verantwortungsvoll wie bereits heute schon.

Gerne möchten wir die Lernkultur aus Heckenbeck auch in Oberndorf etablieren.

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Warum sollte mein Kind auf eine demokratische Alternativschule gehen?